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Rückblende

Die schönste Zeit ist für mich der frühe Morgen. Jene Zeit, wenn der Tag erwacht und die Straßen sich wieder beleben, Menschen den Weg nach draußen finden um auf ihre Uhren zu sehen, an der Haltestelle warten oder beim Bäcker um die Ecke frische Brötchen für ihre Lieben holen. Ich mag es, die Menschen dabei zu beobachten, mit einer Tasse warmem Kaffee in meinen Händen. Ich mag es, wenn der Tag grau und verregnet ist und mit viel Glück auch noch Nebel in der Luft hängt.

Der vergangene Herbst war einer, in dem es viele solcher Tage gab – schön viel Nebel, Regen und ganz viel Grau. Er ging über zum Winter und die Blätter von den Bäumen fielen so schnell, dass ich ihnen kaum dabei zusehen konnte. Nur ein paar Wochen zuvor, Mitte August, drehten wir im alten Sozialamt im Herzen der Altstadt Hoyerswerdas meinen ersten Kurzfilm zu meinem Song „This Silence Is Droning“.

Ich hatte so viele Ideen im Vorfeld zusammen getragen, dass ich zu Beginn gar  nicht wusste, was ich davon schließlich realisieren sollte. Im Kern war klar, dass es sich um eine Psychiatrie handeln solle, die viele schräge Gestalten beherbergt und um mich: der Außenseiter, der schon immer blöd beäugt wurde, weil er dann doch irgendwie anders war. Meine Erinnerungen und Erfahrungen hatten mich schließlich doch noch eingeholt, obwohl ich doch ernsthaft versucht hatte normal zu sein. Schließlich bin ich oft genug angeeckt um zu wissen, dass es sich weitestgehend einfacher lebt, wenn man sich der Masse anpasst anstatt dem Strom entgegen zu schwimmen. Doch der Weg war zu Ende und es gab nur noch links oder rechts – normal… oder eben nicht.

„Lasst uns unsere Spinner und Fantasten schützen, denn sie sind das Wertvollste, was wir haben!“

– am liebsten hätte ich dies über den Eingang meiner entworfenen Psychiatrie, der „Mayhem Lightholler Psychiatric Clinic“ geschrieben. „Stay Quiet!“ (Verhaltet Euch leise!) war dann aber doch realistischer und treffender für eine Klinik, die von einem archaischen Arzt totalitär geleitet wird. Im Laufe der Vorbereitungen für den Short Film (ich finde der Begriff trifft es einfach) wurde mir immer klarer wie sehr doch die einzelnen Charaktere Parallelen zu meinem Leben aufwiesen. Sowieso ist jeder Song ich und ich bin jeder meiner Songs aber die visuelle Umsetzung findet auf einer anderen Ebene statt, da sie den Song nicht nur tragen muss, sondern vielmehr mit ihm verschmelzen sollte. Von Beginn an wollte ich einen Film machen, der wiedererkennbar und durch seine Charaktere einmalig ist und zu mir passt.

Ich sagte einem Journalisten zu Beginn der Dreharbeiten, dass es für mich nie in Frage kam, ein Video zu drehen, in dem wir tanzende Menschen in einem Club zeigen – und so war es dann auch. Wir zeigten ausgesonderte Menschen in einer seltsamen Klinik. Wer an jenem Ort jedoch tatsächlich krank und wer gesund ist, bleibt eine offene Frage. Die Doppelmoral unserer Zeit ist die Doppelmoral im „Mayhem“. In beiden Fällen ist sie widerlich und stinkt zum Himmel.

Die fünf Drehtage waren schonungslos, knallhart und wunderschön. Ich kam an meine Grenzen – wir kamen an unsere Grenzen. Der Rand zum Kollaps war ganz nah und wir merkten es in bestimmten Momenten. Beispielsweise drehten wir die Szene, in der Patient DUE V seinen Wischmob vor Schreck fallen lässt, als er bemerkt, dass ich der Neuzugang bin, um die zwanzig Mal. Die Treppenszene zu Beginn hingegen hatten wir nach drei Anläufen im Kasten. Charakteristisch für meinen Perfektionswahn ist auch die Bett-Szene ganz am Schluss. Ich liege auf meinem Bett und starre ins Leere. Natürlich muss ich für die Dauer der Kamerafahrt meine Augen offen halten ohne zu zwinkern. Die endlosen Durchläufe, aufgrund meiner/unserer Müdigkeit, kann sich jeder vorstellen. Von geschätzten 25 Anläufen habe ich es in einer einzigen geschafft nicht zu zwinkern – CUT! Ein Heidenspaß, hätte uns nicht der unsägliche Zeitdruck so zu schaffen gemacht.

Egal was auch passiert — ich gehöre in diese Klinik und komme nie wieder von ihr los. Wahrscheinlich gehören viele von uns in diese Klinik. Das Lustige daran ist, dass es die meisten nicht einmal wissen. Und doch gehören sie dort hinein. Die „Lightholler Clinic“ ist ein Teil von mir und ich mache sie zu einem Teil von Euch, weil sie unser aller Leben beschreibt. Sie ist die Charade, die läuft, während hinter ihren Pappkulissen geweint und gelitten, geschoben und betrogen, geliebt und gehasst wird.

Du entscheidest wohin Du gehörst, ob Du unter einem Baum liegst und in die Sterne schaust oder in einem vollgekotzten Club Dein Wochenende verbringst. Bist Du ein Fantast oder ein Mitläufer, schwimmend im Strom? Du allein entscheidest.

Ich merke gerade, dass meine Tasse Kaffee kalt geworden ist und ich ihn überhaupt nicht angerührt habe. Er steht noch genauso vor mir wie Stunden zuvor, unberührt… und kalt. Daneben liegen ein paar Stifte, Klebeband und ein Bogen hellbraunes Papier. Auf dem fast leeren Blatt stehen zwei Worte: HELLO HELLO.

Vor meinem Fenster hat es sich aufgeklart. Der Wind weht stark, die Luft ist angenehm. Heute soll ein schöner Tag werden — der erste des neuen Jahres.

Reinhard Mey, ein deutscher Liedermacher, den ich sehr schätze, schrieb einmal:

„(…) manchmal wünscht ich es wär nochmal viertel vor Sieben und ich wünschte, ich käme nach Haus (…)“.

Genau dieses Lied beschreibt im Moment meinen Gemütszustand am besten. Ich denke oft und gerne zurück und vergleiche mein kleines Ich mit meinem großen und stelle fest, dass sich nicht viel verändert hat, nur die Umstände sind andere geworden und wir wurden in andere Kleider gesteckt. Und während uns die Schuhe von damals nicht mehr passen, so ist uns manches Paar, sei es auch noch so neu, immer noch viel zu groß.

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